Nachträge zur Biographie und zum literarischen Nachlass von Vilma Vukelic

Datum/Zeit
​Do 18/05/2017
18:30–21:00

Ort
IWK

Typ
Vortrag

Als Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts der literarische Nachlass von Vilma Vukelic entdeckt wurde, leistete ihre Tochter Elinor erbitterten Widerstand gegen dessen Veröffentlichung und Ausdeutung. Nun, 30 Jahre später, nachdem die Enkel der Autorin den starken, aufrührerischen Verstand ihrer Großmutter zu schätzen gelernt haben, sind sie bemüht „die Spuren der Vergangenheit“ der eigenen Familie zu erforschen. Einer von ihnen, der bekannte Zagreber Journalist Maroje Mihovilovic, hat bereits einen 900 Seiten starken Band einer ungewöhnlichen Familiensaga publiziert. Der Titel lautet Wir, die Kinder von Solferino, was Vilma Vukelic sogleich zur Ahnfrau des Geschlechts stilisiert. In ihrer Heimatstadt Essek (Osijek) gilt sie wiederum seit langem als glaubwürdigste und begabteste Chronistin der bürgerlichen Welt zur Zeit der Donaumonarchie. Im Sommer wird im Stadtzentrum eine Gedenktafel für sie eingeweiht.

Zwei, in einem Wiener Mädchenpensionat verbrachten Jahre (1893-1895) förderten ihr Interesse für die in der Metropole idealisierte Bildung und Kultur. In einer jüdischen Familie, mit deutscher Sprache und im kroatischen Umkreis aufgewachsen, reifte Vilma Vukelic zu einer auffallend hybriden mitteleuropäischen Persönlichkeit. Wie ihr Altersgenosse Stefan Zweig, „der mit nichts mehr Verbundene“, wurde auch sie „in einem neuen Sinne frei“; nur dass ihre kritische Einstellung und Aufrichtigkeit der Sichtweise einer Frau  entsprach. In der Darstellung der „gestrigen Welt“ legte sie mehr Wert auf das (Auto)biographische und das Geistesgeschichtliche als auf das Erdichtete.

Der Vortrag wird einige Aspekte ihres einzigen publizierten Romans Die Heimatlosen berühren, den Einsatz für die Frauenrechte in Memoiren ansprechen sowie die Frage stellen, ob die Chronik der königlichen Freistadt Essek vielleicht doch eine verspätete Herausgabe des deutschen Originals verdient. Noch unberührt liegt in ihrem Nachlass das ins Deutsche übertragene Poem Pan des kroatischen Schriftstellers Miroslav Krleza. Im vor einem Jahr entdeckten Briefwechsel der Autorin mit ihrem Wiener Verleger werden die Schwierigkeiten der Schriftsteller in der Provinz aufschlussreich beleuchtet.

Im Rahmen der Veranstaltung wird der Tagungsband Vesela Tutavac / Ilse Korotin (Hg.): „Wir wollen der Gerechtigkeit und Menschenliebe dienen …“ Frauenbildung und Emanzipation in der Habsburger Monarchie – der südslawische Raum und seine Wechselwirkung mit Wien, Prag und Budapest“ (= biografiA. Neue Ergebnisse der Frauenbiografieforschung Bd. 18, Praesens Verlag, Wien 2016) präsentiert.

Vortragender

Vlado Obad: Univ. Prof. Dr., emer. Professor am Institut für Germanistik der Philosophischen Fakultät der Universität Osijek. Seit über 15 Jahren Betreuer der dortigen Österreich-Bibliothek. Forschung und Lehre an den Universitäten in Wien, Köln, Berlin und Augsburg. Ein Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit bezieht sich auf die deutschsprachige Kultur aus Slawonien im Habsburgerreich. Seine wichtigsten Veröffentlichungen hat er als Experte für Heiner Müller und Dürrenmatt vorgelegt. Zudem trug Vlado Obad vielfach zur Forschung um Bertold Brecht, Fritz Hochwälder und Thomas Bernhard bei. Bedeutend ist ebenfalls sein Engagement im Bereich der Frauenforschung, wie etwa zu den Werken der Romanautorin Hedwig. C. Mahler, der Zagreber Autorin Wilma v. Vukelich oder der Dichterin und Übersetzerin Ina Jun Broda. 2002 wurde Vlado Obad das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen.

Publ.: Roda Roda und die deutschsprachige Literatur aus Slawonien. 1996, Böhlau Verlag
Regionalpresse Österreich-Ungarns und die urbane Kultur. Wien: Feldmann VerlagsgmbH, 2007.
Hg.: Wilma von Vukelich: Spuren der Vergangenheit Osijek um die Jahrhundertwende. 1992 Verlag Sudostdeutsches Kulturwerk