Film puts the X in PolitiX: Denken mit X-Men

Datum/Zeit
​Sa 18/11/2017
13:00–21:00

Ort
Depot

Typ
Tagung

Internationale Tagung zu Film, Politik und Theorie

Konzept und Organisation: Drehli Robnik

Vortragsprogrammübersicht (Näheres untenstehend)

13.30 Drehli Robnik
15.00 Tobias Ebbrecht-Hartmann
16.20 David Auer
17.40 Ulrike Wirth
19.00 Karin Harrasser

Die auf Marvel-Comics basierenden X-Men profilieren sich seit 17 Jahren im Superheld*innenkino als (dingliche) Subjekte intersektionaler Kämpfe und Bündnisse. In sechs X-Men-Kinofilmen und in drei Film-Ablegern mit dem Mutanten Logan/Wolverine spielen sie politische Perspektivierungen durch – rund um Holocaust-Gedächtnis und Rassismuskritik, antihomophobe und Antinormalisierungs-Proteste, anhaltende Gender Troubles und Momente von Care Revolution. We could take care of each other… Why do we run scared of each other? Die Inszenierung von Selbst- und Machtverhältnissen in den Schulen/Teams/Fraktionen der X-Men wird zum Versammlungsort unterschiedlicher Arten, durch Film zu denken: putting the X in PolitiX – and the Why in TheorY. Der Anspruch ist, dass Theoretisieren am Schauplatz von Film Einsicht in Gesellschaftliches befördert, dort wo alle drei – Theorie, Film und Gesellschaft – ein Stück weit unausgemacht sind; wo es also an ihr Eingemachtes geht (an ihr X, mithin ihre Überkreuzungen, Verflechtungen, Mutationen).

Entlang von Kritischer Theorie, Postnazismus-Historie, Medienmaterialismus, Demokratietheorie und Prothetik-als-Ethik: Bei der kleinen tagungsförmigen Versammlung von konzeptuell gestreuten Stimmen und Forschungspraktiken im X-Modus geht es nicht zuletzt um Fragenstellen und Erkenntnissproduktion im Intimkontakt mit Popularem. Auch darum, diesen Zugang zu markieren. Ein bisschen versteht sich dieses wissenschaftsstandortbeflissene Freakteambuilding daher als Anklang, Zerr- und Gegenbild zu traditionellen Gruppierungen philosophischer Grundlagenprobleme im Wissensträgertonfall rund um kanonische Meisterwerke. (A propos: Let´s Put the X in PolitiX und das Why Theory? kommen aus alten Songs von Kiss und Gang of Four; Care of each other kommt aus dem nicht ganz so alten Song “Party Politics” von The Rhythm Method. Things can only get bitter.)

Samstag 18. November 2017
13.30 Uhr
 

Drehli Robnik (Freelance Theoretiker, Wien)
Mutant and proud! Logan des Sinns, Slogans der Politik, Laclaus Klauen und Lehnsherr´s Lens: Film als Wahrnehmung/Maintenance von Desidentifizierungskämpfen

Moderation: Joachim Schätz, Ludwig Boltzmann-Inst. für Geschichte und Gesellschaft

Wie Politik wahrnehmen im Film? Und was heißt das dann jeweils: Film (bzw. dass etwas “im Film” geschieht)? Wahrnehmen? Politik? Film von der Wahrnehmung her angehen und die Wahrnehmung vom Nehmen (zwischen Klauen und maintaining) von Wahrheiten her, das heißt zunächst: Mitnehmen, was in Filmen umgeht, und zwar in historischen Konstellationen, die sie eröffnen. Das gilt für X-Men-Filme (2000-2017ff) wie für any other film, only more so (Annette Michelson). Als Mainstream-Eventkino und Superheld*innen-Franchise versetzen sie uns in Milieus von sich immer neu versammelnden Bezeichnungen mit Eigensinn und Un-Dingen, die sich desidentifizieren. Was daran politisch sein soll, ist natürlich hochgradig kompromittiert, vielleicht gar bestenfalls liberal (marktliberal, weiß-liberal) oder paternalistisch. Und doch: Wenn an Ideologiekritik “alles gesagt” ist, bleibt ein Sinn, der im Unscheidbaren zwischen Namen und Dingen insistiert (Deleuze); ein Namen-Geben, das ein militantes Volk zur Dignität eines Dings erhebt, in dem Gesellschaft gründet (Laclau) – “Mutant and proud!” oder: “Ich wurde schon einmal markiert und lasse mir keine Spritze geben, die mich normal machen soll.”

Politik im Film wahrnehmen heißt etwa auch: Darauf setzen, was sich in dieser Verbindung an Ineinander ergeben kann, wenn ihre Kontingenz gewahrt wird. Sowie: ein Unterhaltungs-Angebot beim Namen nehmen. Dann wird Magneto kategorisch: zum theoretischen Freund, der praktisch alles anzieht, mitnimmt – zumal ihm Hiob-haft alles genommen wird, seine Familie, sein Name (weggenommen von Schweinebauern und Schneidern, sowie von Nazi-Raubgold hortenden Schweizern). Sein Name ist Lehnsherr (Lenser) und Programm: die Optik der Belehnung, Leih-Weiter-Gabe. Neben Magneto (der auch Helmer ist) dienen mir Bryan Singer und Siegfried Kracauer als Jewish Avengers/redeemers, Für- und Versprecher beim Warten von Kämpfen gegen völkisch-identitäre Herrschaft und Stigmatisierung: vom Apt Pupil in Uniform bis zum Stauffenberg-Mutant in drag; von Slapstick bis Shane, den Logan belehnt (ein Westernklassiker und ein klassizistisches Anglo/Latina-Adoptions-Roadmovie). Mitnahme, mit Name: Fragen der Politik-Wahrnehmung münden in eine Konzeptskizze von Film als Mitnehmen/Mit-Schleppen (von Zitaten und Zäunen, insbes. in Logan). Am Horizont steht Kracauers Denk-Affektbild vom Freak-Masse-Sein als exemplarischer Art, in der Geschichte zu sein.

Drehli Robnik ist Theoretiker in Sachen Film und Politik, Essayist, Gelegenheitskritiker, Edutainer. Seine Tätigkeit in Forschung, Polemik, Begriffsbildung und Unterhaltung gilt Konzepten der Wahrnehmung politischer und sozialer Machtverhältnisse und Subjektivierungen in öffentlichen Inszenierungen (insbes. Film und Kino, Popmusik, Public History). Sein Doktorat in Medien- und Kulturwissenschaften stammt von der Uni Amsterdam (2007). Er ist Autor bzw. Mit-Herausgeber von Bänden zu Kracauer und Rancière, Kriegs- und Historienfilm, Stauffenberg und Cronenberg. Er ist Herausgeber der Film-Schriften von Siegfried Mattl (2016). Seine jüngsten Monografien sind: Film ohne Grund. Filmtheorie, Postpolitik und Dissens bei Jacques Rancière (2010), Kontrollhorrorkino: Gegenwartsfilme zum prekären Regieren (2015) und DemoKRACy: Siegfried Kracauers Politik*Film*Theorie (erscheint 2018). Er “lebt” in Wien-Erdberg und ist in Teilen lesbar unter https://independent.academia.edu/DrehliRobnik.

 

15.00 Uhr

 

Tobias Ebbrecht-Hartmann (The Hebrew University of Jerusalem)
History X – Superzeichen und verflochtene Erinnerungen im X-Men Universum

Moderation: Martin Thomson, Diskollektiv*

Einer Urszene gleich bildet die Erinnerung an Auschwitz einen zentralen Grund und Ausgangspunkt des X-Men-Universums. Gleich zwei Mal, in nahezu identischen Einstellungen gefilmt, werden die Zuschauer an den Ort der Selektion und Ermordung zurückversetzt und erfahren die vernichtende Gewalt von Auschwitz als zentrale Dimension der Differenzerfahrung, die die Welt der Mutanten fortgesetzt bestimmt. Daraus ergibt sich eine Motivkette von Superzeichen des Holocaust, die nahezu alle Teile der X-Men-Serie durchzieht. So wird die Erinnerung an den Holocaust ein Resonanzboden, um die Konflikte und (Überlebens-) Kämpfe der Mutanten zu verstehen. Insbesondere die von Magneto, dem gezeichneten Überlebenden, und Xavier, dem auf die Macht des Geistes zurückgeworfenen Aufklärer, verkörperte Verschlungenheit von Partikularismus und Universalismus, von aus der Verfolgungserfahrung erwachsenen und messanisch-erlösend anmutenden Mutantenidentitäten, findet ihren zentralen Bezugspunkt im auf den Holocaust als Zivilisationsbruch zurückverweisenden Erinnerungszeichengeflecht. Zugleich verweisen diese Motive aber auch auf den Entstehungskontext der X-Men hin, deren Ursprünge zum einen in den Erfahrungen von jungen US-amerikanischen Juden der Zweiten Generation nach dem Holocaust, und zum anderen in der Erfahrung des Kampfes der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA liegen. Auf diese Weise verkoppelt sich im X-Men-Universum die (jüdische) Holocausterinnerung auch mit anderen Differenz- und Ausgrenzungserfahrungen, so dass von einer bewusst die jüdische Perspektive (und auch den damit verbundenen Partikularismus) einschließenden intersektionalen Resonanz geprochen werden kann. Der Vortrag wird diesem Geflecht nachgehen.

Tobias Ebbrecht-Hartmann ist Cardinal Franz König Chair in Austrian Studies und Lecturer in Film and German Studies an der Hebräischen Universität Jerusalem. Er lehrt, forscht und publiziert zu filmischen Formen der Erinnerung an den Holocaust und terroristischer Gewalt, mediale Formen von Resonanz und die Verwendung von Archivbildern und ephemerem Filmmaterial. Er ist Autor von Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis: Filmische Narrationen des Holocaust (Bielefeld, 2011) und zwei weiteren Monografien, sowie zahlreichen Aufsätzen, u.a. „Preserving Memory or Fabricating the Past? How films constitute cinematic archives of the Holocaust” in Cinéma & Cie (XV: 24, 2015) und „Migrating Images: Iconic Images of the Holocaust and the Representation of War in Popular Film” in Shofar (28:4, 2010).

16.20 Uhr

David Auer (Filmkritiker, Wien)
Das Kreuz mit dem X – Comics, Wegweiser ins Paradies und Fan-Service als Farce in Logan

Moderation: Andrey Arnold, Diskollektiv*

Zu weit seien Marvel, DC und Co. mittlerweile vom in den Comics vorgezeichneten Pfad abgewichen: Ihre Filme, sich einander immer ähnlicher, dienten hauptsächlich dazu, auf Wunsch der Fans die Continuity des Franchise zu pflegen, sowie Fast Food, Spielzeug und anderen Ramsch zu verkaufen. So in etwa lässt sich (nicht allein) James Mangolds Kritik am aktuellen Stand der Comicheft-basierten Kino-Universen und ihrer Fans in Interviews zu Logan verdichten. Der Regisseur versteht den insgesamt zehnten Eintrag im X-Men-Franchise als Möglichkeit, auf die Ursprünge und Irrwege des Genres zu reflektieren, zumal seinen von der (O-Ton) „coporate agenda“ verschütteten emanzipatorischen Gehalt freizulegen. Logan also als großangelegtes Rettungs- und Rückbesinnungsprojekt, auch auf der Erzählebene. Darin machen junge Retorten-Mutanten auf der Flucht vorm monopolistischen Konzern Transigen dem müden Helden Wolverine wieder Beine (und damit auch dem müden Mythos bzw. Genre; Stichwort „Superhero Fatigue“). Explizit kommen sie als Comic-Fans ins Bild, mit heiligem Ernst davon überzeugt, die Koordinaten in den Panels wiesen den Weg ins Mutanten-Paradies (Eden) auf Erden.
Selbstreflexion als Gegengift für ein Genre im Stillstand zählt zu den bewährten Mitteln, mit dem auch Deadpool den Superhelden wieder zu neuem Glanz (und Erfolg an den Kinokassen) verholfen hat. Ihm verdankt Logan vielleicht seine Existenz, bestimmt aber sein R-Rating. Endlich kann er zeigen, was Wutausbrüche in Kombination mit Metallkrallen auf der Leinwand veran- bzw. verunstalten. Nicht nur damit, sondern auch mit der Anerkennung von Konsum als potentiell widerständiger Praxis erfüllt Mangold den Popkultur-Fans (nicht zuletzt auch den -Produzenten und -Propheten) einen großen Wunsch. Dieser Vortrag spürt Logan‘s als blutige Farce kalkuliertes Hin und Her zwischen Fan-Kritik und -Service, Selbstproblematisierung und -promotion, Schlussstrichsetzung und Fortsetzungstauglichkeit, schließlich auch jenen Momenten nach, die über seine double binds hinausweisen könnten.

David Auer hat Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert. In seinem Versuch, die Kritische Theorie zu verstehen, hat er, wie er meint, eine zumindest halbwegs lesbare Abschlussarbeit über Horrorfilm und den Horror der herrschenden Verhältnisse verfasst. Wenn ihm neben seinem Broterwerb Zeit bleibt, schreibt er Filmkritiken und Texte über Film für das Wiener Stadtmagazin Falter, die Filmzeitschrift kolik.film und das Internetportal filmgazette.de.

 

17.40 Uhr

Ulrike Wirth (Universität Wien)
Children of (X-)Men

Moderation: Valerie Dirk, Diskollektiv*

Auf der Flucht vor der Staatsmacht durch ein post-apokalyptisches wasteland. Es gilt, das Prinzip Hoffnung – verkörpert in der nächsten bzw. durch die nächste Generation – zu beschützen. Narratologische und ästhetische Parallelen zwischen „Logan“ (R: James Mangold, 2017) und „Children of Men“ (R: Alfonso Cuarón, 2006) sind schnell gezogen. Ziel dieses Vortrages ist jedoch, diese zu problematisieren und der Frage nachzugehen, welche Zukunftsszenarien und Zeitlichkeiten dem Selbstverständnis der divergierenden Bündnispolitiken im X-Men-Universum zu Grunde liegen. Die Offsprings der Spinoffs stehen hier also in ihrer Mehrdeutigkeit im Mittelpunkt – für welches Morgen es sich zu kämpfen lohnt, ist schließlich nicht von der Aufforderung zu trennen, für wessen Morgen gekämpft werden soll. Verwandtschaftsverhältnisse und Vermächtnis bilden daher zentrale Knotenpunkte für die Untersuchung einer Filmreihe, deren Opening Credits bereits DNA-Stränge und Zellmaterial zwischen natürlich konstruiert und technisch gewachsen visualisieren und narrativieren.

Mag.a Ulrike Wirth, studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Einem Studienaufenthalt in den USA mit den Schwerpunktsetzungen Indigenes Kino und US-amerikanische Geschichte folgte die Anstellung als Studienassistentin/Tutorin am Institut für Theater-, Film und Medienwissenschaft (TFM). Studienabschluss 2015 mit einer Diplomarbeit über Film als Agentur verteilter Handlungsmacht: „Agenturen-Denken. Leviathan als filmische Bodenprobe“. Gründungsmitglied des filmkuratorischen Vereins Diskollektiv; 2017 als Gastkuratorin mit Diskollektiv am Crossing Europe sowie am /slash Filmfestival. Lehrtätigkeit am TFM-Institut im WS2017/2018. Forschungsinteressen sind u. a.: Ideologiekritik und Utopie, Agency-Theorien, Affirmative Kritik, Arbeitswelten im 21. Jahrhundert, Politiken der Freund_innenschaft. Schätzt die großen Gesten des Genrekinos ebenso wie diskretere Register des Filmbildes.

 

19.00 Uhr

Karin Harrasser (Kunstuniversität Linz)
Prothesen für das Schwächeln. Wolverines Exo/Endo-Körperpolitik

Moderation: Drehli Robnik

Wie lässt sich ohne Demutsethik und politisch über Schwäche reden? Anders gefragt: Wie bringt man einen schwächelnden politischen Körper mit seinen parakörperlichen Erweiterungen, AllianzpartnerInnen, situierten und endlichen Zukünften ins Bild? Mit Wolverines unfreiwillig heftiger Kampfesstärke lässt sich kein Staat machen aber eine Kette von unwahrscheinlichen Solidaritätsverkettungen beschreiben. Er kämpft in meinem Vortrag side by side mit Donna Haraway, Siegfried Kracauer und Klaus Birnstiel für eine Politik des Unvermögens und der Unvermögenden, für verkörperte Geschichte und für Techniken, beunruhigt zu bleiben. Side by side auch mit Laurie Anderson: Cause I can see the future and it’s a place, about 70 miles of here. Got the time? Let X = X.

Karin Harrasser ist Professorin für Kulturwissenschaft an der Kunstuniversität Linz. Nach einem Studium der Geschichte und der Germanistik Dissertation an der Universität Wien. Habilitation an der Humboldt-Universität zu Berlin. Neben ihren wissenschaftlichen Tätigkeiten war sie an verschiedenen kuratorischen Projekten beteiligt, z.B. NGBK Berlin, Kampnagel Hamburg, TQ Wien. Mit Elisabeth Timm gibt sie die Zeitschrift für Kulturwissenschaften heraus. Letzte Publikationen: Prothesen. Figuren einer lädierten Moderne, Berlin 2016. Körper 2.0. Über die technische Erweiterbarkeit des Menschen, Bielefeld 2013.

* Diskollektiv ist ein Verein zur Förderung innovativer Veranstaltungspraxis und Diskussionskultur im Bereich Kino und audiovisuelle Medien.