Konzeption: Johann Dvořák und Karoly Kokai
Nach der Österreichischen Revolution im November 1918 gab es vielfältige gesellschaftliche Aufbrüche: Neue Organisierungsweisen in der Politik, in den Künsten und in der wissenschaftlichen Weltauffassung. Eine Neuorganisation der Gestaltung von Texten, Bildern, Tönen …, aber auch neue – demokratische – Vorstellungen von der bewussten Gestaltung der Gesellschaft. Und: es wurden Zusammenhänge hergestellt zwischen den Gestaltungsmöglichkeiten des Massenhaften in der Gesellschaft, der künstlerischen Produktion für eine große Zahl und den Vorstellungen von den Massenvorgängen bei Molekülen, Atomen und Atomteilchen.
Programm
10.00 Karoly Kokai Das Massenpublikum der Literatur
11.00 Hartmut Krones Arnold Schönbergs Komposition mit zwölf Tönen, ton-demokratische Tendenzen und die gesellschaftlichen Umwälzungen nach 1918
12.00 Florian Ruttner Krise der Demokratie und Aufklärung der Massen. Josef Doppler und Theodor Hartwig als Kritiker des 8. Internationalen Philosophenkongresses in Prag
Pause
15.00 Clemens Zoidl Ernst Krenek und “Johnny spielt auf!”
16.00 Markus Vorzellner “Zwingende Spiritualität sinnlich musikalischer Konfigurationen in Mahlers Symphonik”. Gustav Mahler, gelesen von Theodor W. Adorno.
17.00 Johann Dvořák Ansätze einer nicht-kapitalistischen Vergesellschaftung von Kunst und Wissenschaft (am Beispiel des Vereins für musikalische Privataufführungen und der wissenschaftlichen Weltauffassung des Wiener Kreises)
10.00 Karoly Kokai Das Massenpublikum der Literatur
Masse war ab Ende 1918 die zu organisierende gesellschaftliche Größe. Die bis dahin politisch dominierende Elite war für weite Teile der Bevölkerung – nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen im Ersten Weltkrieg – diskreditiert. Die tiefgreifenden politischen und sozialen Umwälzungen, die das Kriegsende begleiteten, erzwangen ein grundlegendes Umdenken bei nahezu allen in Österreich lebenden Menschen. Ein bedeutender Teil der Wahlberechtigten wandte sich vermehrt jenen Massenparteien zu, die eine als akzeptabel erscheinende Zukunft versprachen. Das Bestreben, die Massen zu mobilisieren und zu organisieren, beschränkte sich dabei keineswegs auf progressive Kräfte. Vielmehr war es ein zentrales Anliegen sämtlicher politischer Lager – sozialdemokratisch, kommunistisch, faschistisch, katholisch, christlichsozial wie auch nationalsozialistisch. Sowohl die Neuorientierung als auch der ideologische Kampf um die Massen spielte sich auch in der Kultur, so auch in der Literatur, ab. Neben den etablierten Formen der bürgerlich-hochkulturellen Literatur traten zunehmend neue Formate, Themenfelder und literarische Gattungen in den Vordergrund. Die Masse war für den Literaturbetrieb der Zwischenkriegszeit nicht nur ein zentrales Motiv, sondern auch das neue Publikum: eine Leserschaft, die sowohl dargestellt als auch durch Literatur erzogen werden sollte.
Der Vortrag stellt die Frage, welche Wege es in Österreich der Zwischenkriegszeit gab, um das neue Massenpublikum zu erreichen.
11.00 Hartmut Krones Arnold Schönbergs Komposition mit zwölf Tönen, ton-demokratische Tendenzen und die gesellschaftlichen Umwäzungen nach 1918
„Der Grundton besitzt schon schon dadurch eine gewisse Vorherrschaft über die von ihm ausgehenden Gebilde, daß deren wichtigste Bestandteile, da sie sich von seinem Glanz herleiten, sozusagen seine Satrapen, seine Sachwalter sind: Napoleon, der seine Verwandten und Freunde auf die europäischen Throne setzt.” So verglich Arnold Schönberg die Hierarchie in der „üblichen” Tonalität mit „Herrschaftsstrukturen” in der Gesellschaft, und er wollte diesen „einzelnen Ton” seines „Privilegs der Vorherrschaft” berauben. Andere Komponisten wollten die Tradition durch andere Tabu-Brüche sprengen, wie etwa Paul Hindemith, der Klavierschülern riet, nicht lange zu überlegen „ob Du ,Dis’ mit dem vierten oder sechsten Finger anschlagen mußt”, und das Klavier „als eine interessante Art Schlagzeug” zu sehen. Diese „Umwälzungen” werden in dem Beitrag in einen nicht nur musikalischen Blick genommen.
12.00 Florian Ruttner Krise der Demokratie und Aufklärung der Massen. Josef Doppler und Theodor Hartwig als Kritiker des 8. Internationalen Philosophenkongresses in Prag
Als 1934 zum VIII. Internationalen Philosophiekongress in Prag geladen wurde, waren die gesellschaftlichen Aufbrüche und die damit verbundenen Hoffnungen, die nach 1918 eingesetzt hatten, fragwürdig geworden. Nicht umsonst fand der Kongress in Prag, der Hauptstadt der letzten demokratischen Republik in Mittel- und Osteuropa statt, von der der Kongress auch tatkräftig unterstützt wurde, und nicht umsonst wurden die Frage der Rolle und der Grenzen von Erkenntnis und Sozialwissenschaften sowie die der Krise der Demokratie ins Zentrum gestellt. Der Fragwürdigkeit der Aufbrüche sollte Selbstvergewisserung entgegengesetzt werden. Mehrere den Aufbrüchen noch verbundene Denkschulen, besonders Sympathisanten des Wiener Kreises aber auch einer in der Tradition Tomáš Garrigue Masaryks stehenden tschechoslowakischen Strömung, diente der Kongress auch als Podium, um die eigene Position darzustellen und gegen irrationalistische Tendenzen in der Philosophie vorzugehen.
Der Vortrag wird diesen Kongress aus der Perspektive von zwei kritischen Teilnehmern diskutieren und auf deren Kritik auf dem und an dem Kongress thematisieren: Einerseits die Josef Dopplers, einem aus Bratislava stammenden Schüler Max Horkheimers, der zwischen tschechoslowakischer Strömung, kritischer Theorie und dem Wiener Kreis zu vermitteln suchte und anderseits die Theodor Hartwigs, der aus der österreichischen Volksbildungsbewegung kommend, die prinzipielle Ausrichtung des Kongresses quasi als Schaufenster der Demokratie in Frage stelle.
15.00 Clemens Zoidl “Jonny” – ein österreichisches Massenphänomen amerikanischer Art. Ein Blick auf Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf
Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf brachte Publikum in großen Massen in die europäischen Opernhäuser. Dieser Erfolg für den erst 26jährigen Komponisten und Textdichter kam sicher überraschend. Schnell fanden unterschiedliche Kommentator:innen Erklärungen, äußerten Lob, Kritik und Empörung. Zusätzlich zur dichten Präsenz der Oper in den Spielplänen wurden auch sekundäre Wege der Vermarktung eingeschlagen, die aus dem Überraschungserfolg weitere Einkünfte lukrieren wollten. Allerdings waren mit dem Erfolg für Ernst Krenek auch einige gravierende Nebeneffekte verbunden.
Diese und weitere Facetten des Opern-Hits machen Jonny zu einem sehr illustrativen Beispiel für Massenphänomene im Wien der Zwischenkriegszeit.
16.00 Markus Vorzellner “Zwingende Spiritualität sinnlich musikalischer Konfigurationen in Mahlers Symphonik”. Gustav Mahler, gelesen von Theodor W. Adorno.
Was haben Massenphänomene mit Gustav Mahler und Theodor W. Adorno zu tun? Im ersten Augenblick gar nichts, aber bei einem zweiten und dritten Blick in die Materie treten Verflechtungen mit der Umbruchszeit 1918 auf, die sowohl die Epoche Gustav Mahlers als auch deren Interpretation durch Adorno betreffen. In diesem Vortrag wird versucht, die von Adorno anhand von Mahlers Symphonischen Werk aufgezeigten Aporien darzulegen, im selben Ausmaß aber auch die teleologischen Fallen aufzudecken, in die der Hegelianer Adorno selber zu tappen scheint.
17.00 Johann Dvořák Ansätze einer nicht-kapitalistischen Vergesellschaftung von Kunst und Wissenschaft (am Beispiel des Vereins für musikalische Privataufführungen und der wissenschaftlichen Weltauffassung des Wiener Kreises)
Blicken wir auf die vielfältigen Bestrebungen in der Kunst und in der Wissenschaft im Wien des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zurück, dann können wir bei einigen wahrnehmen, daß sowohl eine Zivilisierung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse (“die Einführung abendländischer Kultur in Österreich”) als auch eine Überwindung des Kapitalismus versucht und teilweise vorweggenommen wird. Dies wird an den Beispielen des Vereins für musikalische Privataufführungen, Überlegungen Robert Musils zur gesellschaftlichen Funktion von Literatur und der wissenschaftlichen Weltauffassung des Wiener Kreises gezeigt.